London Underground verbessert mit Netzwerk-Maschinenüberwachung die Zuverlässigkeit für 200 Millionen Fahrgäste jährlich

„Wir konnten von der Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Flexibilität der NI-Hard- und -Software profitieren und ein innovatives System implementieren, durch das Ausfallzeiten für Fahrgäste auf der Victoria Line reduziert werden. Das System soll die Ausfallzeiten für Fahrgäste um 39.000 Stunden pro Jahr verringern. Das entspricht einem Einsparpotenzial von etwa 350.000 Pfund.“

- Sam Etchell, London Underground Limited

Die Aufgabe:

Ausfälle der Gleisstromkreise der Londoner U-Bahn, welche Störungen für die Fahrgäste verursachen, sollen prognostiziert werden, um die Betriebszeit von Signalanlagen zu steigern und geeignete Wartungsmaßnahmen zu planen. Die Umsetzung des Projekts soll innerhalb des kurzen Zeitraums von einem Jahr erfolgen.

Die Lösung:

Durch Entwurf, Zertifizierung und Installation eines groß angelegten verteilten Systems sollen 385 tiefliegende Gleisstromkreisanlagen der „Tube“ in Echtzeit an einer im Fahrbetrieb befindlichen Bahn von einer zentralen Stelle aus simultan überwacht werden. Entwicklungszeit und -kosten wurden durch Einsatz von handelsüblichen Standardtools verringert. Das Wartungspersonal kann aktiv auf potenzielle Ausfälle reagieren und das Management erhält einen besseren Einblick in die Lebensdauer der Anlage.

Autor(en):

Sam Etchell - London Underground Limited
Dale Phillips - London Underground Limited
Barry Ward - London Underground Limited

 

Die Londoner U-Bahn transportiert pro Jahr 1,7 Milliarden Fahrgäste. Auf die Victoria Line entfallen 213 Millionen dieser Fahrten. Auf dieser Linie werden zu Spitzenzeiten 89,1 Millionen Fahrgäste im Jahr transportiert. Sie weist damit den stärksten Fahrgastbetrieb im gesamten U-Bahn-Streckennetz auf. Im Laufe der vergangenen acht Jahre wurden der Fuhrpark sowie die Signal- und Steuersysteme der Victoria Line im Rahmen eines mit einer Milliarde Pfund bezifferten Investitionsprogramms erneuert und ersetzt, sodass nun Fahrten von mehr als 33 Zügen pro Stunde möglich sind. Das neue Signalsystem verwendet 385 sogenannte Jointless Track Circuits (fugenlose Gleisstromkreise, JTCs) zur Erkennung der Zugposition, zur Wahrung einer sicheren Zugtrennung und zur Bereitstellung von Zugfolgen, mit denen ein äußerst anspruchsvoller Zeitplan erfüllt werden kann. Gleisstromkreise sind die einzige Möglichkeit der Zugerkennung und spielen eine wesentliche Rolle beim sicheren und zuverlässigen Betrieb der Bahn. Allerdings wurden keine Vorkehrungen für eine Zustandsüberwachung während des Entwurfs und der Installation getroffen. Aufgrund der Bedeutung der Anlage hat ein ausgefallener Gleisstromkreis wesentliche Auswirkungen auf den Fahrgastbetrieb. Sie stellen auch die Hauptursache für Ausfallzeiten auf der Victoria Line dar. Seit ihrer Einführung belaufen sich durch Ausfälle entstandene Kosten auf 1,5 Millionen Pfund (CuPID-Datenbank der London Underground für Ausfälle von Gleisstromkreisen seit 2012).

 

Das Victoria Line Condition Monitoring Team, das aus sechs Ingenieuren mit Erfahrungen auf den Gebieten Schienen, Software, Elektronik, Mechanik und Netzwerke besteht, lieferte die Lösung. Der NI Silver Alliance Partner Simplicity AI unterstützte das Projekt durch zusätzliche Software-Beratungsleistungen. Wir nutzten den weitreichenden Erfahrungsschatz des Unternehmens, um binnen eines Jahres nach Konzeptentwurf das System für eine betriebsbereite Bahn bereitzustellen.

 

Der Umfang des Projekts bestand aus Entwurf, Integration und Installation eines intelligenten dezentralen Zustandsüberwachungssystems, das eine Echtzeitanalyse der Spannung und der Frequenz aller 385 JTCs auf einer tiefliegenden Bahnstrecke von 45 km durchführen kann und so dafür sorgt, dass Ausfälle sowie Störungen des Fahrgastbetriebs prognostiziert und verhindert werden. Wir konnten von der Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Flexibilität der NI-Hard- und -Software profitieren und ein innovatives System implementieren, durch das Ausfallzeiten für Fahrgäste auf der Victoria Line reduziert werden. Das System soll die Ausfallzeiten für Fahrgäste um 39.000 Stunden pro Jahr verringern. Das entspricht einem Einsparpotenzial von etwa 350.000 Pfund.

 

 

 

Überblick über die Anwendung

Die Victoria Line setzt frequenzgesteuerte, abgestimmte elektrische JTCs mit variabler Länge ein. Die Stromkreise werden aktiviert und deaktiviert, wenn Züge die Strecke überqueren. Jeder JTC verfügt über eine elektrische Empfangseinheit, die auf die Frequenz des Gleisstromkreises abgestimmt ist (4 bis 6 kHz frequenzabgetastet). Sie verarbeitet das eingehende Signal und stellt einem Prüfpunkt eine Stichprobe bereit, die dann zur Überprüfung des Zustands des Gleisstromkreises verwendet werden kann.

 

Vor der Einführung dieses Systems mussten wir regelmäßig den Zustand eines jeden Gleisstromkreises manuell vor Ort mit einem Digitalmultimeter überwachen. Nachdem der Installation des NI-CompactRIO-Systems können wir jetzt dezentral die Abtastungen des JTC-Prüfpunkts von allen Gleisstromkreisen der Linie simultan erfassen. Das bedeutet, dass die Wartungsteams aktiv Geräteausfälle prognostizieren und verhindern können, bevor sie auftreten.



Wir haben verschiedene Anbieter von Datenerfassungsprodukten geprüft und kamen zu dem Schluss, dass andere Produkte zwar die ursprünglichen Anforderungen erfüllt hätten, aber keines davon die Flexibilität, Skalierbarkeit und Leistungsfähigkeit der CompactRIO-Plattform bot. Das vielfältige Angebot an Eingangsmodulen und die Möglichkeit zur einfachen Anpassung der integrierten Software mithilfe der Entwicklungsumgebung NI LabVIEW erlaubten es uns, weitere Zustandsüberwachungsprojekte ausgehend von einer gemeinsamen Plattform bereitzustellen. Dadurch reduziert sich die Zeit für den Entwurf und die Entwicklung der Hard- und Software für eine breitere Palette von Dateneingaben.

 

Aufgrund der Sicherheitsanforderungsstufe (Safety Integrity Level, SIL4) des Gleisstromkreissystems musste eine unabhängige Trennstrecke zwischen der Empfängereinheit und dem CompactRIO eingebracht werden. Wir haben mit Dataforth, einem Unternehmen mit Sitz in den USA, zusammengearbeitet und ein SCM5B-Trennmodul entworfen, das für die galvanische Trennung zwischen CompactRIO und überwachten Gleisstromkreisen sorgt. Die Trennmodule von SCM konnten die strengen Anforderungen des Empfängers an Prüfeinrichtung erfüllen und zudem eine genaue und kompatible Nachbildung des Ausgangssignals für die Erfassung mit dem CompactRIO liefern. Die Isolierung sowie die geringen Ausfallraten der NI-Hardware stellten sicher, dass wir das System ohne Einschränkungen hinsichtlich der SIL4-Sicherheitsanforderungen des Signalsystems der Victoria Line installieren konnten. Wir führten eine umfassende technische Sicherheitsanalyse der Hardware durch, die den Normen des europäischen Komitees für elektrotechnische Normung (CENELEC) entspricht und von den entsprechenden Sicherheitsbehörden zur Sicherung und Validierung des Entwurfs genehmigt wurde.

 

Wir haben die Datenerfassung von CompactRIO auf 14 räumlich voneinander getrennte Standorte verteilt, die alle Teil eines neuen Glasfasernetzwerks mit hoher Bandbreite sind, das speziell für diese Anwendung installiert wurde. Die Flexibilität der Hardware CompactRIO sorgt in Verbindung mit der Software LabVIEW dafür, dass wir Daten in Echtzeit über ein einfaches Übertragungsprotokoll an zentrale Server zur Zustandsüberwachung übermitteln konnten. Das war eine wesentliche Anforderung im Hinblick auf Entwurf und Bereitstellung eines echten dezentralen Zustandsüberwachungssystems.


Der zentrale Server zur Zustandsüberwachung verarbeitet einen Live-Datenstrom mit 10 Hz von jedem CompactRIO. Das summiert sich auf über 7000 Messwerte pro Sekunde. Das einfache CompactRIO-Übertragungsprotokoll stellt sicher, dass der zentrale Server die Daten umgehend analysieren und die Gleisstromkreise auf Abweichungen vom Idealzustand überwachen kann. Das System vergleicht jeden eingehenden Daten-Frame mit einer definierten Standardfrequenz und -spannung, sodass der Server eine unabhängige Entscheidung zum Zustand aller Gleisstromkreise treffen kann, die mit den Eingangskanälen des CompactRIO verbunden sind. Darüber hinaus speichert der Server alle Daten in eine Near-Line- und Far-Line-Datenbankarchitektur. Das erlaubt uns, langfristige Trends bei großen Datensätzen zu analysieren.

 

Der zentrale Server kann Benachrichtigungen zum Zustand des Hardwareprodukts an eine Mensch-Maschine-Schnittstelle (HMI) weitergeben. Bei der HMI handelt es sich um einen großen Touchscreen, der eine genau skalierte Nachbildung der Gleisstromkreiskonfiguration der Victoria Line darstellt. Anwender können intuitiv die angezeigten Informationen mittels Berührung durchsehen und eindeutig den Zustand der Anlagen entlang der Linie identifizieren sowie Warnungen zu einem prognostizierten Geräteausfall empfangen.


Wir planen, zwei HMIs einzusetzen, um schnellere Latenzzeiten zu erzielen. Eine Schnittstelle soll sich im Kontrollzentrum der Victoria Line und die zweite im Wartungskontrollzentrum befinden. Beide können vom Wartungspersonal der Signalanlage verwendet werden. Wir können jeden Gleisstromkreis an der Bahn mit einer einzigen Berührung aus der Ferne abfragen. So wird den Anwendern eine grafische Darstellung des RMS-Pegels, der Frequenz und der Informationen zum Gleiszustand bereitgestellt. Grundlage dafür sind die von den CompactRIO-Geräten entlang der Gleise übertragenen Daten.

 

 

Außer über die zwei zentralen Touchscreens können die Daten des CompactRIO auch über eine Reihe von mobilen Geräten wie Smartphones oder Tablets sowie über Touchscreens dargestellt werden, die sich in den Geräteräumen entlang der Linie befinden. So stehen die Daten von CompactRIO überall an der Victoria Line zur Verfügung. Ermöglicht wird dies über eine Verbindung zum neuen Zustandsüberwachungsnetzwerk.

Bereitstellung von NI-Produkten

Wir entschieden uns für Simplicity AI, um die Software für die FPGAs und den Echtzeitprozessor des CompactRIO zu entwickeln. Zwar verfügt das Londoner U-Bahn-Betreiberunternehmen über interne LabVIEW-Entwickler, bei diesem Projekt setzten wir aber dennoch Simplicity AI ein, weil das Unternehmen bereits ein sehr hohes Niveau an FPGA- und Echtzeiterfahrung mitbringt. Das Unternehmen stellte innerhalb von drei Monaten eine vollständige Dokumentation, Quellcode und Ergebnisse von Langzeittests zu Stabilität und Belastung bereit, um zu gewährleisten, dass das CompactRIO-System auf einem Niveau ausgeführt werden konnte, das für den Einsatz in einer sicherheitsrelevanten Umgebung innerhalb der Infrastruktur der Londoner U-Bahn geeignet ist.

 

 

 

Für jede bereitgestellte Einheit haben wir einen NI cRIO-9025-Controller mit einem NI cRIO-9118-Chassis mit acht Steckplätzen gepaart. Wir verwendeten bis zu acht Analogeingangsmodule des Typs NI 9220, um ein Maximum von 128 physikalischen Eingängen pro CompactRIO-System bereitzustellen. Wir haben uns für diese Konfiguration entschieden, weil sie die erforderliche Verarbeitungsleistung sowie zwei Netzwerkanschlüsse für einen redundanten Netzbetrieb bot, um die Systembetriebszeit zu maximieren. Die CompactRIO-Plattform unterstützte das Team dabei, einen Bottom-up-Ansatz bei der Entwicklung des Systems zu nutzen, denn die sich ständig wandelnden Spezifikationen waren unbekannt, bis die ersten Anlagendaten erfasst werden konnten. Diese flexible Plattform erlaubte zügige Iterationen bei der Entwicklung der Anwendungsfunktionalität, wodurch das Projekt viel schneller abgeliefert werden konnte.

 


 

Zu Anfang standen wir vor der Herausforderung, Frequenzen und Effektivspannung simultan auf allen 128 Kanälen des FPGAs berechnen zu müssen. Dank Simplicity AI konnten wir dem begegnen. Dazu lieferte das Unternehmen eine Architektur für serielle Prozesse, die die hohe Taktrate des FPGAs nutzt, um Daten für jeden Kanal sequenziell zu verarbeiten. Die Software baut einen Puffer von 10 ms für jeden Kanal auf, durchläuft dann jeden Puffer und berechnet die Frequenz sowie den RMS-Pegel.

 

Eine wichtige Komponente bei der Bereitstellung in der Londoner U-Bahn bestand darin, dass das System von Bahntechnikern installiert, in Betrieb genommen und gewartet werden sollte, die nicht mit NI-Software und der CompactRIO-Plattform vertraut waren. Simplicity AI lieferte ein gebräuchliches Softwarepaket, das für jeden Standort über eine einfache externe Textdatei im gängigen XML-Dateiformat konfiguriert wird. Wir entwickelten eine Anwendung mithilfe des Tools Replication and Deployment (RAD). Dies automatisiert den Installationsprozess für das System und die Anwendungssoftware auf dem CompactRIO und liefert die passende Konfigurationsdatei.

 

Das Bereitstellungstool für CompactRIO vereinfachte die Einführung des Systems, sorgte für eine effiziente Installation und ermöglichte, dass CompactRIO dezentral eingesetzt, konfiguriert und aktualisiert werden kann, und das von einem zentral verwalteten Standort aus. Diese Fernkonfiguration mit nur einem Mausklick erwies sich auch während der Entwicklungsphase als äußerst vorteilhaft, als Ingenieure der Londoner U-Bahn und von Simplicity AI gemeinsam an den unterschiedlichen Abschnitten des Projekts arbeiteten.

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir das Projekt planmäßig abschließen konnten. Die Entwicklungszeit betrug ein Jahr, einschließlich Entwurf, Sicherung, Beschaffung und Installation. Wir lagen zudem unter dem bereitgestellten Budget. Das System bietet eine solide Architektur und nutzt dazu eine Reihe von FPGA- und Echtzeitfunktionen, um eine vielseitige Plattform für die Bereitstellung im Streckennetz der Londoner U-Bahn zu bieten. Wir lieferten ein zuverlässiges, dezentrales Zustandsüberwachungssystem, mit dem Wartungspersonal aktiv auf Ausfälle reagieren kann, bevor diese auftreten, und das dem Management einen besseren Einblick in die Lebensdauer der Anlage ermöglicht.

 

Wir haben durch die Einführung dieses Überwachungssystems eine bessere Vorstellung vom Verhalten von JTCs in der Praxis erhalten. So konnten wir eine wichtige Anlage besser verstehen, das Verhalten eines fehlerhaften Gleisstromkreises kennenlernen, jene Gleisstromkreise identifizieren, die möglicherweise ausfallen, und das Wartungspersonal vor Auftreten eines Ausfalls benachrichtigen.

 

Informationen zum Autor:

Sam Etchell
London Underground Limited
London
Vereinigtes Königreich
Tel: 020 7038 3146
sam.etchell@tube.tfl.gov.uk

Abbildung 1: Überblick über das dezentrale Zustandsüberwachungssystem
Abbildung 2: HMI für die Station Blackhorse Road mit einem Gleisstromkreis während eines Fehlerzustands und Echtzeitdaten für vier Gleisstromkreise
Abbildung 3: Daten der Gleisstromkreise entlang der Strecke auf einem Touchscreen im Geräteraum, einem Smartphone und einem Tablet (von links nach rechts)
Abbildung 4: Überblick über die Art und Weise, wie Datenerfassungskomponenten insgesamt zusammenarbeiten, um Herausforderungen zu bewältigen
Abbildung 5: Übersicht über die Architektur für serielle Prozesse auf dem FPGA