Entwicklung eines mobilen Montageroboters mit CompactRIO und ROS für den Einsatz in gefährlichen Umgebungen

Dr. Hamid Roozbahani, Lappeenranta University of Technology

„Die CompactRIO-Controller bieten aktuelle Verarbeitungs- und heterogene Rechenelemente, sodass wir komplexe Steuer- und Regelalgorithmen mit deterministischen Antwortzeiten und der nötigen geringen Latenz ausführen können.“

– Dr. Hamid Roozbahani, Lappeenranta University of Technology

Die Aufgabe:

Wir suchten nach einer Möglichkeit zur Durchführung von Montage- und Reparaturarbeiten in Umgebungen, die für Menschen zu gefährlich sind.

Die Lösung:

Wir entwickelten einen mobilen Spezialroboter, der in der Lage ist, seine Umgebung zu erkennen, zu überwachen und durch diese zu navigieren, um in gesundheitsgefährdenden Umgebungen Reparaturen und Montagen durchzuführen.

Autor(en):

Dr. Hamid Roozbahani – Lappeenranta University of Technology
Prof. Heikki Handroos – Lappeenranta University of Technology

 

Einführung

Die 1969 gegründete Lappeenranta University of Technology (LUT) ist eine der ersten Hochschulen Finnlands, die technische und betriebswirtschaftliche Studienschwerpunkte miteinander verknüpft. Die international ausgerichtete Universität umfasst circa 6.000 Studierende sowie Experten aus Wissenschaft, Forschung und Lehre.

 

Die Projektgruppe der LUT für den Bereich Intelligent Machines beschäftigt sich mit der Erforschung und dem Entwurf mechatronischer Systeme, insbesondere in Kombination mit virtuellen Technologien und Simulatoren, sowie anspruchsvoller Industrierobotik. Die Gruppe war bereits an wichtigen, internationalen Forschungsprojekten beteiligt und arbeitet zudem eng mit Industriepartnern zusammen.

 

Bei uns ist es seit Langem Tradition, im Rahmen von Studienprojekten Lösungen für neue und zukunftsweisende Industriebereiche zu entwickeln. Diese neuen Bereiche bieten zahlreiche Möglichkeiten, innovative Verfahren und Systeme zu erforschen und damit zu experimentieren, insbesondere da noch keine etablierten Lösungen existieren. So haben wir beispielsweise virtuelle Renn- und Reitsimulatoren mit realitätsgetreuer Bewegungsrückkopplung entwickelt. Diese mechatronischen Systeme bieten innovative Technologien und Verfahren, die sich auch auf konventionelle Industrieanwendungen übertragen lassen.

 

 

 

 

Technische Lösungen für internationale Herausforderungen

2011 löste ein Erdbeben im Pazifik vor der Küste Japans einen gewaltigen Tsunami aus, der eine schwere Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima zur Folge hatte. Durch den Tsunami wurde sowohl die Strom- als auch die Notstromversorgung der Reaktorkühlsysteme unterbrochen, was bei drei Reaktoreinheiten zu einer Kernschmelze führte sowie zu einer Reihe chemischer Explosionen und der Freisetzung radioaktiven Materials.

 

 

 

 

 

 

 

Um eine weitere Katastrophe zu verhindern, blieben 50 freiwillige Mitarbeiter des Kraftwerks in der Sperrzone, um die Reaktoren zu stabilisieren. Diese mutigen Menschen, auch bekannt als die „Fukushima 50“, mussten einfache Reparaturarbeiten, u. a. das Schließen von Ventilen, in einer der gefährlichsten Umgebungen der Welt durchführen. Die extreme Strahlenbelastung, der sie ausgesetzt waren, birgt ein hohes Potenzial für schwerwiegende gesundheitliche Langzeitfolgen.

 

Wie für viele Menschen auf der Welt waren die Fukushima 50 auch für uns eine Inspiration. Ihr Einsatz ist ohne Zweifel bewundernswert, doch waren wir der Meinung, dass es eine Möglichkeit geben muss, diese Art von Reparaturarbeiten in gefährlichen Umgebungen von modernen mechatronischen Systemen durchführen zu lassen und nicht von Menschen. Das war der Auslöser für die Entwicklung unseres mobilen Montageroboters.

 

 

 

 

Wir stellen vor: TIERA

TIERA ist ein vielseitig einsetzbarer, mobiler Roboter, der für die Durchführung von Reparatur- und Montagearbeiten in gefährlichen Umgebungen konzipiert wurde. Die Funktionalität und Beschaffenheit des Roboters sind genau auf die auszuführenden Aufgaben und die extremen Bedingungen der geplanten Arbeitsumgebungen abgestimmt. Beim Design wurden deshalb verschiedene Faktoren wie Strahlung, Korrosion, Toxizität, Explosionen, biologische Risiken, hohe Spannungen und extreme Temperaturen berücksichtigt.

 

 

Ein weiteres wichtiges Kriterium war eine hohe Beweglichkeit, damit der Roboter in der Lage ist, ein gefährliches Gebiet zu durchqueren. Dies unterscheidet unseren Roboter von den meisten Industrierobotern, die in der Regel stationär sind und über einen Gelenkarm verfügen, der auf einer festen Basis montiert ist. Wir erarbeiteten zunächst das Konzept für die Fernsteuerung von einem sicheren Ort durch einen Experten und entwickelten daraufhin die Systeme für die Sensorik, Datenübertragung (WLAN und 4G), Virtual Reality und haptische Rückkopplung, die für eine intuitive Fernbedienung notwendig sind.

 

Weitere Bestandteile von TIERA:
     • Lüfterloser Embedded-Computer für die Steuerung der Roboterhardware
     • Robotermanipulatoren und -werkzeuge zur Durchführung verschiedener Reparaturaufgaben
     • Bildverarbeitungssystem, über das der Bediener ein Videobild der Roboterkameras erhält
     • Sensoren zur Erfassung der Umgebungsinformationen

 

 

 

 

Weiterentwicklung unseres anfänglichen Steuersystems

Zu Anfang des Projekts bestand das Steuersystem des Roboters aus einer Linux-basierten Distribution des Robot Operating System (ROS), das auf einem Industriecomputer von Advantech ausgeführt wurde. Wir stellten jedoch bald fest, dass der Industrie-Controller für die Anforderungen des Projekts nicht ausreichte. Deshalb haben wir uns für CompactRIO mit NI Linux Real-Time als Hauptsteuersystem entschieden, das mit dem ROS kommuniziert. Durch diese neue Architektur entstand ein extrem leistungsstarkes System mit hochpräzisen Steuerungsfunktionen und äußerst geringer Latenz.

 

Eine vollständige Auflistung der Bewegungs-, Sensorik- und Steuersysteme von TIERA:

 

 

 

 

 

Warum NI?

Die CompactRIO-Plattform bietet integrierte Software, Hardware in verschiedenen Leistungsstufen und Formfaktoren sowie umfangreiche I/O, wodurch das Projektrisiko gesenkt, die Systemleistung gesteigert und die Entwicklung komplexer Embedded-Systeme vereinfacht wird. CompactRIO-Controller umfassen zudem aktuelle Verarbeitungs- und heterogene Rechenelemente, sodass wir komplexe Steuer- und Regelalgorithmen mit deterministischen Antwortzeiten und der nötigen geringen Latenz ausführen können. Darüber hinaus profitieren wir mit den I/O-Modulen der C-Serie von messspezifischer Signalkonditionierung, integrierter Isolierung und leistungsstarken A/D-Wandlern, sodass wir Signale mit hoher Detailtreue erfassen können.

 

 

 

Durch den Einsatz von CompactRIO erübrigen sich separate Subsysteme, da die CompactRIO-Controller direkt und ohne Umwege mit Sensoren, Anzeigen, Kameras, Motoren und Datenbanken verbunden werden können. Anschließend haben wir mit der grafischen Entwicklungsumgebung LabVIEW festgelegt, wie CompactRIO die Daten verarbeiten soll. Mit LabVIEW konnten wir auch ohne tiefergehende Kenntnisse in Hardwarebeschreibungssprachen die Embedded- und FPGA-Prozessoren von CompactRIO programmieren. Darüber hinaus waren wir mit den in LabVIEW integrierten Funktionen in der Lage, die Timing- und Speicheranforderungen intuitiv zu verwalten, und konnten auch die Signalverarbeitungs-, Analyse-, Steuerungs- und mathematischen Routinen einfacher entwickeln.

 

 

 

Für die Datenübertragung zwischen den Komponenten kamen integrierte Treiber und APIs zum Einsatz, sodass wir uns voll und ganz auf die Entwicklung des Roboters konzentrieren konnten. Da wir so weniger Zeit für Datenerfassungsfragen aufwenden mussten, konnten wir mehr Zeit in die Datenanalyse und Entscheidungsfindung investieren, um die ordnungsgemäße Funktionsweise kritischer Komponenten sicherzustellen.

 

Und nicht zuletzt können wir dank der erweiterbaren LabVIEW-Architektur das System jederzeit – auch nach der Implementierung – einfach über die Software anpassen und neu konfigurieren.

 

Eine innovative Lösung für die zentrale Robotersteuerung

Der wichtigste Bestandteil des zentralen Steuerungssystems von TIERA ist CompactRIO mit NI Linux Real-Time in Kombination mit der Flexibilität und Funktionalität des ROS, wodurch zahlreiche neue Funktionen für den Roboter möglich wurden.

 

 

Die digitale Signalübertragung spielt bei jedem hochentwickelten Roboter eine entscheidende Rolle. Dazu gehören u. a. die Kommunikation zwischen Bediener und Roboter, zwischen den Steuergeräten des Roboters und der Peripheriehardware sowie zwischen den verschiedenen vom Prozessor ausgeführten Programmknoten.

 

Die Steuernachrichten für die Bewegung der Roboterteile werden über ein lokales Netzwerk übertragen und von der Main Station als ROS-Topics veröffentlicht. Ein geräteeigener Computer abonniert die Themen und liest die Nachrichten. Dann wird von dem im Roboter installierten Computer an jedes Gerät ein Signal entsprechend den Anweisungen geschickt. Die von einer Fernbedienung an die Main Station gesendeten Signale werden vom ROS verarbeitet und dann per WLAN an den Advantech-Industriecomputer übertragen.

 

Die direkte Kinematik wurde im ROS auf der Main Station berechnet und die verallgemeinerten Koordinaten für die Steuerung an die Controller der mechanischen Komponenten übertragen. Wie bereits erwähnt, werden die Roboterteile über das ROS gesteuert, wobei einige Teile mithilfe von LabVIEW-Software programmiert wurden. Dabei konnten wir den Code für die verschiedenen Teile in einem zentralen Steuerprogramm zusammenführen, mit dem jedes Gerät des Roboters überwacht und gesteuert wird. Die Geräte-Controller sind alle über das lokale Netzwerk miteinander verbunden und können daher miteinander kommunizieren.

 

Wir können den CompactRIO-Controller mithilfe der LabVIEW-Bibliothek in das gesamte Robotersystem integrieren, um Informationen in ROS-Themen im selben lokalen Netz zu veröffentlichen. Die LabVIEW-Anwendung wird gleichzeitig auf dem CompactRIO- und auf der Hauptstation ausgeführt. Über die Benutzeroberfläche werden die Daten der Sensoren angezeigt, die nach der Veröffentlichung als Topics auch für die Steuerung anderer Teile des Roboters verwendet werden können. So werden beispielsweise die Räder angehalten, wenn die festgelegte Distanz zu einem Hindernis überschritten wird.

 

Durch das Zusammenspiel von LabVIEW und ROS können wir verschiedene Arten von Geräten und Controllern in einem Netzwerk nutzen. Die Konsolidierung in einem Netzwerk ist nötig, damit die unterschiedlichen Hard- und Softwaregruppen zu einem gemeinsamen System zusammengeführt werden können.

 

Zukünftige Entwicklung von TIERA

Die Entwicklung des TIERA-Roboters schreitet zügig voran. Alle Robotersysteme sind voll funktionsfähig und wurden bereits einzeln getestet. Der nächste Schritt sind Tests des gesamten Systems sowie weitere Upgrades.

 

Dank der Vielseitigkeit und Modularität von TIERA und CompactRIO lässt sich der Roboter nicht nur für Montage- und Reparaturarbeiten in gefährlichen Umgebungen einsetzen. Durch eine Umrüstung kann der Roboter schnell für unterschiedliche Anwendungsbereiche und Aktivitäten angepasst werden, z. B. für:
     • Krankenhäuser: Medikamentenverabreichung, Transport von Essen und Medikamenten
     • Reinigung: automatische Reinigung großer Flächen, z. B. Supermärkte, Flughäfen und Industriegelände
     • Lager, Distribution und Logistik: Effiziente Verlagerung von Materialien aus den Lagerregalen in die Auftragserfüllungszonen
     • Industrie: Montage und Transport von Materialien
     • Sicherheit: Entschärfung von Sprengsätzen, Sondierung und Überwachung gefährlicher Gebiete
     • Tagebau: Erkundung von Abbaugebieten, Einsatz in gefährlichen Umgebungen
     • Schiffswerften: Durchführung von Schweiß- und Schneidearbeiten
     • Forschung: Vulkanforschung, Antarktis- und Arktisforschung

 

Informationen zum Autor:

Dr. Hamid Roozbahani
Lappeenranta University of Technology
P.O. BOX 20 / PL 20
FI-53851 Lappeenranta
Finland
hamid.roozbahani@lut.fi

Abbildung 1: Im Rahmen von Studentenprojekten entwickelte Mechatroniksimulatoren
Abbildung 2: Kernkraftwerk Fukushima nach dem Tsunami
Abbildung 3: TIERA-Konzeptmodell
Abbildung 4: Grafische Darstellung des Robotersystems
Abbildung 5: cRIO-9035: Primärer Controller von TIERA
Abbildung 6: Schematische Darstellung von CompactRIO mit angeschlossenen Sensoren, Aktoren und dem ROS
Abbildung 7: Fortschritte bei der Entwicklung des TIERA-Roboters