Aufzeichnen des schwer erfassbaren Balzgesangs der Fruchtfliegen

"Glücklicherweise setzten wir auf die Vielseitigkeit der NI-Plattform und konnten somit Zeit und Kosten bei der Herstellung der Song Box sparen."

- Birgit Brüggemeier Brüggemeier, Centre for Neural Circuits and Behaviour , Tinsley Building, Mansfield Road

Die Aufgabe:

Der Beitrag beschreibt das Erstellen eines Geräts zur Regelung der lokalen Umgebung von Fruchtfliegen und zuverlässigen Aufzeichnung ihres Balzgesangs. Letzteres kann sich schwierig gestalten aufgrund der geringen Gesanglautstärke und variierender Umgebungsfaktoren, wie Temperatur, Licht und Feuchtigkeit.

Die Lösung:

Mit der Software LabVIEW und der Hardware CompactDAQ entwickelten wir ein sensorisches Gerät namens „Song Box“, konnten die Umgebungsbedingungen innerhalb der Song Box regeln und ein Partikelgeschwindigkeitsmikrofon anschließen, mit dem der geheimnisvolle Balzgesang der Fruchtfliege aufgenommen werden konnte.

Autor(en):

Birgit Brüggemeier Brüggemeier - Centre for Neural Circuits and Behaviour , Tinsley Building, Mansfield Road

Diese Kundenlösung wurde im Tagungsband 2016 des Technologie- und Anwenderkongresses „Virtuelle Instrumente in der Praxis“ veröffentlicht.

Eingesetzte Produkte: LabVIEW, CompactDAQ

 

Kurzfassung

 

Der Beitrag beschreibt das Erstellen eines Geräts zur Regelung der lokalen Umgebung von Fruchtfliegen und zuverlässigen Aufzeichnung ihres Balzgesangs. Letzteres kann sich schwierig gestalten aufgrund der geringen Gesanglautstärke und variierender Umgebungsfaktoren, wie Temperatur, Licht und Feuchtigkeit.

 

Mit der Software LabVIEW und der Hardware CompactDAQ entwickelten wir ein sensorisches Gerät namens „Song Box“, konnten die Umgebungsbedingungen innerhalb der Song Box regeln und ein Partikelgeschwindigkeitsmikrofon anschließen, mit dem der geheimnisvolle Balzgesang der Fruchtfliege aufgenommen werden konnte.

 

Vorstellung der „Song Box”

Drosophila melanogaster, besser bekannt als Obst-, Frucht- oder Essigfliege, ist eine gelb-braune Fliege mit ziegelroten Augen und schwarzen Ringen um den Bauch. Fruchtfliegen sind für die Wissenschaft sehr wichtig, da sie zu den ersten Organismen zählen, die für die genetische Analyse herangezogen wurden. Sie wurden zu einem der prominentesten „Modellorganismen“, da sie viele vorteilhafte biologische Eigenschaften wie geringe Fortpflanzungszeiten, hohe Fertilität (die Weibchen legen bis zu 100 Eier pro Tag) und andere komplexe Verhaltensweisen (wie etwa Flug, Balzverhalten und Aggression) aufweisen. Wissenschaftler nutzen Fruchtfliegen nach wie vor für biologische Studien in den Bereichen Genetik, Physiologie, Verhalten und Evolution.

 

Männliche Obstfliegen legen komplexe Balzrituale gegenüber den Weibchen an den Tag. Dazu gehören etwa einseitige Flügelerweiterung und Flügelvibration, welche einen für die jeweilige Spezie spezifischen Balzgesang hervorruft. Um die feinen Unterschiede zwischen den flüchtigen Gesängen zu erfassen, entwickelten wir eine geregelte, geräuschisolierte Umgebungskammer, die wir „Song Box“ tauften.

 

Beim Singen reagieren die Fliegen empfindlich auf Umweltfaktoren wie Licht, Temperatur und Feuchtigkeit. Daher beherbergt die Song Box nicht nur ein hochpräzises Partikelgeschwindigkeitsmikrofon und Feuchtigkeitssensoren, sondern auch Widerstandstemperaturfühler (RTDs), thermoelektrische Kühlelemente und einen Lüfter zur Regelung der Umgebungstemperatur. Zusätzlich steht eine Reihe weißer, grüner und roter LEDs zur Verfügung, mit denen sich die Beleuchtungsstärke innerhalb der Kammer variieren lässt.

 

Regelung der Song Box

Eine erfolgreiche Durchführung der Forschungsarbeit erforderte genaue, wiederholbare und zuverlässige Abtastung und Regelung der Song Box. Auf einem FPGA kodiert, böten viele Skriptsprachen eine Lösung. In den meisten technischen Entwicklungsprojekten im wissenschaftlichen Bereich muss die Hardware an die individuelle Problemstellung angepasst werden, was wiederum eine maßgeschneiderte Regelungssoftware erforderlich macht. Dies mit Skriptsprachen zu entwickeln, führt jedoch zu einem erheblichen Zeit- und Kostenfaktor für die Herstellung – ohne jeglichen wirtschaftlichen Nutzen. Glücklicherweise setzten wir auf die Vielseitigkeit der NI-Plattform und konnten somit Zeit und Kosten bei der Herstellung der Song Box sparen. Zur effizienten und zuverlässigen Kommunikation des PCs mit der Außenwelt verwendeten wir ein Chassis des Typs cDAQ-9174 und entsprechende I/O-Module.

 

 

Die extrem geringe Lautstärke des Balzgesangs erforderte eine qualitativ hochwertige Tonaufnahme sowie die Isolierung vor Hintergrundgeräuschen und elektrischem Rauschen. Dies stellte uns vor erhebliche Herausforderungen bei der Entwicklung der Song Box, vor allem bei der Temperaturregelung. Unser Peltier-Element (thermoelektrisches Kühlelement) erforderte einen Lüfter zur Vermeidung von Überhitzung. Dieser Lüfter jedoch erzeugte beträchtliche Geräusche, was die Aufzeichnung des Balzgesangs unmöglich machte. Dieses Problem lösten wir mit einer flexiblen Softwarelösung auf Basis von LabVIEW. Mit dieser Lösung wird die Temperatur auf ein gewünschtes Niveau geregelt, bevor die Peltier-Elemente automatisch abgeschaltet werden. Umgekehrt hielt die LabVIEW-Applikation die Experimente an, sobald die Umgebungstemperatur eine gewünschte Schwelle überschritt, sodass das Peltier-Element wieder mit Energie versorgt werden konnte. Da wir bei der Entwicklung der Song Box diesen Software-definierten Ansatz nutzten, waren wir in der Lage, unser System bei plötzlich auftretenden Hindernissen schnell zu anzupassen.

 

Bei der Kommunikation mit der Song Box werden fünf separate Aufgaben parallel ausgeführt. Da als Backplane das cDAQ-9174 eingesetzt wurde, konnten wir drei Steckmodule identifizieren, mit denen diese Aufgaben bewältigt werden konnten. Zusätzlich nutzten wir eine Schnittstelle des Typs PCIe-8253 für die Erfassung der Kamerabilddaten, wodurch wir die Tonaufnahmen mit einem Video des Balzrituals in Relation setzen konnten. Die NI-Vision-Acquisition-Software lieferte ein klares Bild, das in einem vorgegebenen Codec in AVI-Format formatiert wurde, welches von üblichen Mediaplayer erkannt wird.

 

Mit der Plattform CompactDAQ bewerstelligten wir die Regelung der Umgebung sowie die Tonaufzeichnung. Um die Programmierung und die Auslastung des Speicherplatzes effizient zu gestalten, nutzten wir eine Ereignisstruktur für die Triggerung jedes Befehls. Zur vereinfachten Programmierung nutzte jedes Modul ein DAQ-Assistant-Express-VI innerhalb einer Erzeuger-/Verbraucher-Schleifenstruktur. Dies sollte sicherstellen, dass beim Streamen in Echtzeit keine Daten verloren gingen. Das Modul NI 9401 sendet binäre TTL-Signale an die LEDs und Peltier-Elemente und gestattet somit Regelung des Lichts und der Temperatur.

 

Die 16-Bit-Auflösung des Analogeingangsmoduls NI 9205 sowie dessen Abtastrate von 250 kS/s waren ideal für die Digitalisierung des Balzgesangs. Dasselbe Modul nutzten wir auch zur Erfassung des Feuchtigkeitssignals, das dann anhand einer vom Sensorhersteller zur Verfügung gestellten Formel in LabVIEW verarbeitet wurde. Dies resultierte in präzisen, skalierten Werten. Zur Offline-Analyse wurden beide Signale in eine TDMS-Datei gestreamt. Am Ende eines Experiments parst die TDMS-Datei automatisch einen LabVIEW-Algorithmus, sodass eine WAV-Datei entsteht, die wiederum von jedem üblichen Mediaplayer erkannt wird.

 

Das Modul NI 9217 überwacht die Widerstandstemperaturfühler. Es vereinfacht den Integrationsprozess der Sensoren, da es die Art des an das Modul angeschlossenen RTDs (drei- oder vierdrahtig) automatisch erkennt und dann den erforderlichen Erregerstrom zur Verfügung stellt. Die erfassten Temperaturdaten werden an die Peltier-Element-Regelschleifen in unserer LabVIEW-Anwendung weitergeleitet und wieder in eine TDMS-Datei gespeichert.

 

All diese Tasks laufen gleichzeitig ab. Ein Multicorerechner ist in der Lage, die parallelen Schleifen ohne Verzögerung auszuführen und ohne einen Kompromiss mit anderen Windows-Prioritäten schließen zu müssen. Somit können wir darauf vertrauen, dass die Kodierung für präzise und vollständige Erfassung der Datensätze sorgt. Mit LabVIEW gestaltet sich die Programmierung von Multithread-Anwendungen unglaublich schnell und effizient.

 

Zudem war klar, dass wir eine ziemlich intuitive Benutzeroberfläche (das Frontpanel) benötigten, da der Code am Ende von Forschungsstudenten gehandhabt wurde, die über keinerlei LabVIEW-Erfahrung oder  Kenntnisse verfügten. Aufgrund der extrem hohen Flexibilität der LabVIEW-Steuerungen und -Datendarstellungsobjekte waren wir in der Lage, eine solch intuitive Benutzeroberfläche zu erstellen.

 

Rüstzeug für die Wissenschaft

In der Forschung entwickeln wir oft maßgeschneiderte technische Lösungen für wissenschaftliche Probleme, manchmal auf Kosten der Reproduzierbarkeit, da selbst kleinere Abweichungen das Resultat verändern können. Das Ziel einer guten fachlichen Vorgehensweise in der Forschung ist jedoch genau diese Reproduzierbarkeit. Mit wiederholbaren technischen Lösungen können wir beginnen, diese Reproduzierbarkeit zu fördern. NI-Hard- und -Software ist modular, skalierbar, unendlich flexibel und stellt somit eine ideale Plattform für die Standardisierung gemeinschaftlicher Forschung dar.

 

Außerdem weist die LabVIEW-Regelungssoftware einen unerwarteten Vorteil auf: Das Frontpanel ist für Wissenschaftler ohne vorherige LabVIEW-Erfahrung leicht und intuitiv zu bedienen. Als wir die Song Box anderen Wissenschaftlern vorführten, waren diese zunächst skeptisch. Sie erwarteten eine zeitraubende Lern- und Installationserfahrung, wie sie oft in der Wissenschaft der Fall ist. Letzendlich benötigten sie aber weniger als zehn Minuten, um die Regelungssoftware zu verstehen und mit ihrem ersten Experiment zu beginnen.

 

Die Rolle des Balzgesangs

Wenn ich wissen wollte, was Ihr Lieblingslied ist, könnte ich Sie fragen. Ganz einfach. ei Fliegen aber ist das natürlich etwas komplexer. Wenn Fliegen ein Lied hören, das ihnen gefällt, verändern sie ihr Verhalten, beginnen zu tanzen und singen sogar mit – aber nur, wenn das Lied Spezies-spezifische Voraussetzungen bezüglich Frequenz, Rhythmus und Amplitudenstruktur erfüllt. Entspricht das Lied nicht diesen strikten Kriterien, ist es genau so wenig attraktiv wie Stille.
Zur Förderung unseres Verständnisses von Drosophila melanogaster, einem der für die Wissenschaft wichtigsten Modellorganismen, benötigten wir eine wiedergabegetreue Aufzeichnung seines einzigartigen Balzgesangs, das wir den Fliegen als Teil unserer fortlaufenden Forschung vorspielen konnten. So entwickelten wir eine einzigartige Sensor- und Umgebungskammer: die Song Box.

 

Zusammenfassung

Letztendlich erfasste die auf LabVIEW gestützte Song Box den schwer fassbaren Balzgesang, wodurch wir entdecken konnten, wie Variationen in der Lautstärke nicht nur über die Art der Spezies Aufschluss geben, sondern auch von weiblichen Fliegen für die Wahl des richtigen Männchens genutzt werden. Dies lässt vermuten, dass Lautstärkevariationen im Balzgesang eine evolutionäre Rolle spielen, was wiederum eine Inspiration für die künftige Erforschung anderer Tiere wie Vögel und Säugetiere sein könnte, deren Lautstärke bei Balz und Gesang ebenfalls variiert.

 

Weitere Erkenntnisse zum Gesang der Fruchtfliegen können im Internet nachgelesen werden.

 

Informationen zum Autor:

Birgit Brüggemeier Brüggemeier
Centre for Neural Circuits and Behaviour , Tinsley Building, Mansfield Road
Oxford OX1 3SR
United Kingdom

Bild 1: Drosophila melanogaster, besser bekannt als Obst- oder Fruchtfliege
Bild 2: Song Box von innen und außen betrachtet. (a) Mit Peltier-Elementen geschlossene Song Box, Guckloch für die Videoaufzeichnung und Regler für die Lautstärke sowie die Intensität roten (R) und grünen (G) Lichts. (b) Beim Öffnen der Box ist die Styroporhülle zu sehen, die entfernt werden kann, um Fliegen auf das Mikrofon zu setzen. (c) Das Partikelgeschwindigkeitsmikrofon (CMP-5247TF-K), das für die Aufzeichnung des Balzgesangs von Fliegen eingesetzt wurde. (d) Grüne und rote LEDs richten Licht in die Mitte der Kammer, um die Fliegen zu beleuchten. (e) Wie regeln das Temperaturniveau mit Peltier-Elementen und einem Temperatursensor.
Bild 3: LabVIEW-Frontpanel der Song Box, das die balzenden Fliegen auf einem extrem empfindlichen Mikrofon sitzend zeigt, welches ihre Gesänge aufzeichnet. Zudem kann der Anwender über das Frontpanel Licht, Feuchtigkeit und Temperatur regeln.