Eine echtzeitfähige Anwendung für die Steuerung, Regelung und Überwachung sowie die Messdatenerfassung einer experimentellen Verdampferstrecke im Labormaßstab

Dipl.-Ing. Gerrit A. Schatte, Lehrstuhl für Energiesysteme, TU München

"Zur Verbesserung des Regelungsverhaltens und zur Erhöhung der Zuverlässigkeit der automatisierten Sicherheitsüberwachung wurde das Programm so weiterentwickelt, dass die Regelung und Sicherheitsüberwachung nun deterministisch erfolgen."

- Dipl.-Ing. Gerrit A. Schatte, Lehrstuhl für Energiesysteme, TU München

Die Aufgabe:

Am Lehrstuhl für Energiesysteme der TU München wurde eine Verdampferstrecke im Labormaßstab als Pilotanlage für eine im Bau befindliche Anlage errichtet.

Die Lösung:

Die Steuerung, Regelung und Überwachung sowie die Messdatenerfassung der Anlage wurden softwareseitig mit LabVIEW und hardwareseitig mit einem CompactRIO-System realisiert. Die deterministischen Regelungsprozesse werden auf dem Real-Time-Controller des CompactRIO-Gerätes ausgeführt.

Autor(en):

Dipl.-Ing. Gerrit A. Schatte - Lehrstuhl für Energiesysteme, TU München
Dipl.-Ing. Andreas Kohlhepp - Lehrstuhl für Energiesysteme, TU München
Prof. Dr.-Ing. Hartmut Spliethoff - Lehrstuhl für Energiesysteme, TU München

 

Diese Kundenlösung wurde im Tagungsband 2015 des Technologie- und Anwenderkongresses „Virtuelle Instrumente in der Praxis“ veröffentlicht.

 

Eingesetzte Produkte: NI LabVIEW, NI CompactRIO, Real-Time-Controller

 

Die Abbildungen der Kundenlösung finden Sie in der Galerie und im Fließtext. In der Galerie können Sie die Bilder in größerer Auflösung ansehen.


Kurzfassung

Am Lehrstuhl für Energiesysteme der TU München wurde eine Verdampferstrecke im Labormaßstab als Pilotanlage für eine im Bau befindliche Anlage errichtet. Die Steuerung, Regelung und Überwachung sowie die Messdatenerfassung der Anlage wurden softwareseitig mit LabVIEW und hardwareseitig mit einem CompactRIO-System realisiert. Die deterministischen Regelungsprozesse werden auf dem Real-Time-Controller des CompactRIO-Gerätes ausgeführt. Die kritischen Größen werden ebenfalls deterministisch auf dem FPGA des CompactRIO-Gerätes überwacht. Gleichzeitig erfolgt eine Kommunikation mit einem Host-PC, von dem auf die Anlagensteuerung zugegriffen wird und auf dem Messwerte sowie der aktuelle Zustand der Anlage angezeigt und aufgezeichnet werden.

 

Einleitung

In [1] wurde eine experimentelle Verdampferstrecke im Labormaßstab, bestehend aus einem elektrisch beheizten Verdampferrohr und Nebenaggregaten, vorgestellt, die als Pilotanlage für eine größere Anlage zur Untersuchung der Verdampfungsprozesse in thermischen Kraftwerken dient. Das wissenschaftliche Interesse betrifft vor allem den Wärmeübergang und den Druckverlust bei dynamischem Kraftwerksbetrieb.

 

Die Steuerung, Regelung und Messdatenaufzeichnung dieser Verdampferstrecke wurden bislang mit LabVIEW von einem einzigen Host-Computer aus durchgeführt, der ein NI-CompactRIO-Gerät ansteuert, welches alle Mess- und Steuerungssignale mit der Anlage austauscht. Zur Verbesserung des Regelungsverhaltens und zur Erhöhung der Zuverlässigkeit der automatisierten Sicherheitsüberwachung wurde das Programm so weiterentwickelt, dass die Regelung und Sicherheitsüberwachung nun deterministisch erfolgen. Dies wurde durch die zusätzliche Verwendung des Real-Time-Controllers (RTC) und des FPGA-Chips (Field Programmable Gate Array) auf dem CompactRIO-Gerät realisiert. Im Folgenden wird auf die Programmarchitektur, die Benutzeroberfläche, das Real-Time-Programm und das FPGA-Programm und deren Zusammenspiel eingegangen.

 

Programmarchitektur

Das Programm besteht im Wesentlichen aus Prozessen, die auf einem Host-PC, dem RTC des CompactRIO-Chassis und dem FPGA des CompactRIO-Chassis ablaufen. Dies ist schematisch in Bild 1 dargestellt. Das Programm auf dem Host-PC hat drei wesentliche Aufgaben: die Anzeige des aktuellen Zustands der Versuchsanlage, die Ermöglichung der Bedienung der Anlage durch den Benutzer sowie die kontinuierliche Aufzeichnung der aktuellen Messwerte der Anlage. Es kommuniziert unter Verwendung von Variablen des Typs „Network Published Variable“ mit dem RTC des CompactRIO-Chassis. Das Programm auf dem RTC hat die Aufgaben der Steuerung und Regelung der Anlage sowie die des Speicherns der aktuellen Daten in den Variablen für die Kommunikation mit dem Host-PC. Des Weiteren greift es mit einer „Read/Write-Control“-Funktion auf die vom FPGA verarbeiteten Daten zu. Das Programm auf dem FPGA hat zum einen die Aufgabe, mit einer bestimmten Rate Daten mit den Ein- und Ausgangskarten des Chassis auszutauschen, und zum anderen eine kontinuierliche Sicherheitsüberwachung der kritischen gemessenen Temperaturen und Drücke im System durchzuführen.

 

Die Benutzeroberfläche

Die Benutzeroberfläche soll es ermöglichen, den aktuellen Zustand der Anlage einzusehen (das entspricht den wichtigsten Messdaten), das Mitschreiben der aktuellen Daten ein- oder auszuschalten sowie die Anlage zu bedienen. Dies wird durch ein hierfür entwickeltes Host-Virtual-Instrument (VI) realisiert. Die Messwerte der Anlage werden mithilfe von numerischen Anzeigeelementen, „waveform charts“ und „x-y charts“, durchgeführt. Bild 2 stellt einen gemessenen Rohrwandtemperaturverlauf während eines Siedevorganges im Verdampferrohr dar, der mithilfe eines x-y charts dargestellt wird. Somit kann der Benutzer sofort den Zustand der Anlage beurteilen.

 

Die Bedienung wird mithilfe von booleschen und numerischen Bedienelementen realisiert. Das Schreiben der Daten in eine .txt-Datei erfolgt mit der Funktion „write to spreadsheet file“.

 

Das Real-Time-VI

Das Real-Time-VI übernimmt die Aufgaben der Regelung und des Speicherns aller aktuellen Daten in einer Variablen, auf die das Host-VI Zugriff hat. Es läuft vollständig auf dem RTC des CompactRIO-Systems und ist schematisch in Bild 3 dargestellt. Es orientiert sich an Beispielen, die in den Kursunterlagen zu LabVIEW Real-Time 1 (National Instruments 2013) vorgestellt werden. Die Regelungsfunktionen werden durch das Sub-VI „Regelung und Steuerung.vi“ übernommen, während das Schreiben der aktuellen Daten mithilfe des Sub-VIs „Netzwerkkommunikation.vi“ erfolgt. Das „Regelung und Steuerung.vi“ enthält eine deterministische Schleife (timed loop) für die Regelungsfunktionen. Die Perioden beider Schleifen sind über Konstanten im VI einstellbar. Mithilfe der Read/Write-Control-Funktion erfolgt der Datenaustausch mit dem FPGA. Neben den zwei laufenden Tasks gibt es des Weiteren noch eine Initialisierungs-Task, die die Steuersignale beim Start der Anwendung auf einen sicheren Zustand hin initialisiert, sowie eine Ausschalt-Task, die beim Beenden der Anwendung die Anlage zurück in einen sicheren Zustand fährt.

 

Das FPGA-VI

Das FPGA-VI dient zum Datenaustausch mit den Ein- und Ausgangskarten im Chassis sowie zur Sicherheitsüberwachung kritischer Signale. Die FPGA-I/O-Knoten werden als Bedien- bzw. Anzeigeelemente im FPGA-Frontpanel ausgegeben, auf die die Read/Write-Control-Funktionen im Real-Time-VI Zugriff hat. Mithilfe von numerischen Vergleichsoperatoren erfolgt die Überwachung der kritischen Größen. Hierbei muss auf die Kalibrierung der Temperatursignale geachtet werden. Die entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen werden bei einer Überschreitung durch den FPGA direkt und ohne Kommunikation mit dem RT-VI ausgeführt. Der aktuelle Status der zu überwachenden Größen wird ebenfalls an das RT-VI kommuniziert.

 

Zusammenfassung

Zur Messdatenerfassung, Bedienung, Regelung und Steuerung sowie zur Sicherheitsüberwachung einer Verdampferstrecke im Labormaßstab wurde in LabVIEW ein Programm entwickelt. Die Regelung und die Steuerung der Anlage im Normalbetrieb erfolgen deterministisch in einer zeitkritischen Schleife auf dem Real-Time-Controller des CompactRIO-Chassis. Die Sicherheitsüberwachung wird ebenfalls deterministisch mithilfe des FPGA-Chips des CompactRIO-Chassis realisiert. Bedient wird über ein eigenes VI auf einem Host-PC. Die durch dieses Programm gewonnenen Erkenntnisse unterstützen die Implementierung der Steuerung der im Bau befindlichen größeren Verdampferstrecke.

 

Informationen zum Autor:

Dipl.-Ing. Gerrit A. Schatte
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