Lebensdauerprüfung von topologieoptimierten, patientenindividuellen Osteosyntheseplatten unter Verwendung des CompactRIO-Systems

"Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die verwendete Entwicklungsumgebung LabVIEW mit den Modulen LabVIEW Real-Time und LabVIEW FPGA maßgeblich zur Entwicklung und Erweiterung des Spezialprüfstands – und somit zum zeitlich sehr eng getakteten Gesamtprojektverlauf – beigetragen hat."

- Dipl.-Ing. Peter Föhr, Technische Universität München, Lehrstuhl für Orthopädie und Sportorthopädie, Labor für Biomechanik

Die Aufgabe:

In einem Projekt der Bayerischen Forschungsstiftung wird nun untersucht, ob eine modellbasierte Implantatentwicklung inklusive der Methode der Topologieoptimierung anwendbar ist

Die Lösung:

Die daraus gefertigten Implantate werden auf einem mehrachsigen Dauerprüfstand gemäß der anatomischen Vorgaben über bis zu 5 Mio. Kauzyklen belastet. Die Bedienung und Datenaufnahme erfolgt PC-seitig, die Regelung der Hydraulikachsen über ein CompactRIO-System, inklusive echt-paralleler Datenverarbeitung auf dem FPGA und parametrierbaren Trajektorien zur robusten und genauen Einhaltung der Sollwerte.

Autor(en):

Dipl.-Ing. Peter Föhr - Technische Universität München, Lehrstuhl für Orthopädie und Sportorthopädie, Labor für Biomechanik
PD Dr. Rainer Burgkart - Technische Universität München, Lehrstuhl für Orthopädie und Sportorthopädie

 

Diese Kundenlösung wurde im Tagungsband 2016 des Technologie- und Anwenderkongresses „Virtuelle Instrumente in der Praxis“ veröffentlicht.

 

Eingesetzte Produkte: CompactRIO-System, LabVIEW

Kurzfassung

Patientenindividuelle Implantate gewinnen in vielen medizinischen Bereichen stark an Bedeutung. Dennoch handelt es sich immer auch um ein Medizinprodukt, das im Patienten eingesetzt wird und besonderen Qualitätsanforderungen genügen muss. In einem Projekt der Bayerischen Forschungsstiftung wird nun untersucht, ob eine modellbasierte Implantatentwicklung inklusive der Methode der Topologieoptimierung anwendbar ist. Die daraus gefertigten Implantate werden auf einem mehrachsigen Dauerprüfstand gemäß der anatomischen Vorgaben über bis zu 5 Mio. Kauzyklen belastet. Die Bedienung und Datenaufnahme erfolgt PC-seitig, die Regelung der Hydraulikachsen über ein CompactRIO-System, inklusive echt-paralleler Datenverarbeitung auf dem FPGA und parametrierbaren Trajektorien zur robusten und genauen Einhaltung der Sollwerte.

 

Einleitung

Medizinprodukte, im Besonderen Plattensysteme für die Versorgung von Knochenfragmenten, werden in Zukunft immer mehr dahingehend entwickelt, dass patientenindividuelle Voraussetzungen mitberücksichtigt werden: beispielsweise die angrenzende Geometrie von zu versorgenden knöchernen Kompartimenten oder der Schutz bestimmter Gewebebereiche wie Nervenkanäle und Muskelansätze. Dabei muss der Medizinprodukthersteller garantieren können, dass patientenindividuelle Produkte ebenfalls sicher im Patienten angewendet werden können, genauso wie konventionelle Medizinprodukte.

 

 

Methodik

Ein groß angelegtes Forschungskonsortium mit der Bezeichnung „TOPOS – Topologieoptimierte Osteosynthesen“ aus der Technischen Universität München (Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (iwb), Klinik für Mund- Kiefer- Gesichtschirurgie, Klinik und Lehrstuhl für Orthopädie und Sportorthopädie), mehreren Industriepartnern (Fa. FIT, Fa. netfabb, Fa. Sintermask, Fa. Open Mind, Fa. Dassault Systèmes) und dem Forschungsförderer „Bayerische Forschungsstiftung“ hat sich daher drei Hauptarbeitsbereiche definiert. Zuerst werden patientenindividuelle Bereiche für mögliche Osteosyntheseplatten auf Basis von 3D-Oberflächendaten des Patienten generiert (Bild 1a) und in einem zweiten Schritt mit Hilfe eines Finite-Elemente-Modells sowie der Methode der Topologieoptimierung technisch ausgelegt (Bild 1b). Der erste projektspezifische Anwendungsfall beschäftigt sich mit der Rekonstruktion eines Unterkiefers mit Hilfe eines Knochentransplantats aus dem Wadenbein. Dazu muss vorab ein anatomischer 3D-Lastfall modelliert werden, der auf den Kauapparat wirkt, und anschließend auf die patientenspezifische Unterkiefer- und Wadenbeingeometrie angewendet werden. Zusätzlich gibt der behandelnde Arzt klar abgegrenzte Bereiche auf den Knochenoberflächen frei, innerhalb welcher überhaupt Osteosyntheseplatten angebracht werden dürfen sowie an welcher Stelle Knochenschrauben zur Verankerung des Implantats gesetzt werden müssen. Als Zweites erfolgt eine Lastrechnung, initial für den maximal gewählten Design Space (dt. Konstruktionsraum). Dieser Design Space wird mit Hilfe der Topologieoptimierung iterativ reduziert, bis eine vorab definierte Abbruchbedingung den Prozess beendet.

 

In einem dritten Schritt werden die generierten Datensätze mit Hilfe modernster Fertigungsverfahren hergestellt. In diesem Forschungsprojekt werden sowohl das Elektronenstrahlschmelzen (3D-Druck) als auch die spanende Fertigung (5-Achs-Fräsbearbeitung) angewendet, als Material wird bei beiden Verfahren medizinisch klassifiziertes Titan (Ti6Al4V) verwendet.

 

 

Lösungsbeschreibungen

Für eine Bewertung der Entwicklungsmethodik und der beiden Fertigungsverfahren wurde im Vorfeld ein mehrachsiger Kieferprüfstand entwickelt und an die aktuellen Zielvorgaben angepasst. Die Lasteinleitung auf den Knochen-Implantat-Verbund wird über stahlseilgekoppelte Hydraulikaktoren aufgebracht (Bild 2b). Mit Hilfe von Kraftaufnehmern (Typ S2 1 kN, HBM, Darmstadt) und Sensoren zur Kolbenpositionsbestimmung (Micropulse BTL, Balluff, Neuhausen a. d. F.) werden die Prozessdaten erhoben. Jeder Datenkanal wird über eine entsprechende Signalerfassungskarte in Form eines NI-C-Serienmoduls eingelesen: Kraftsensordaten mit dem Messbrückenverstärker NI 9237 und Positionssensordaten mit dem Analog-Digital-Wandler NI 9205. Für das Stellen der Hydraulikachse wird das NI-C-Serienmodul NI 9263 verwendet, das die Proportionalventile über ein Spannungssignal zwischen −10 V und +10 V ansteuert. Alle Ein- und Ausgangssignale werden über das Echtzeitsystem (NI cRIO-9012) bzw. direkt auf dem zwischengeschalteten FPGA-Chip verarbeitet. Dies betrifft sowohl die Signalaufbereitung bzw. -filterung als auch die volldigitale Regelung der Achsen. In einer früheren Ausbaustufe des Prüfstands wurde die Achsregelung direkt auf dem FPGA in Ganzzahlarithmetik implementiert. Die aktuelle Ausbaustufe verwendet jedoch einen gleitkommabasierten Regler auf dem Echtzeit-Controller. Bei einer zu regelnden Anzahl von bis zu vier Hydraulikventilen ist die Performance des Echtzeit-Controllers cRIO-9012 mit nur einem Rechenkern ausreichend und die anwenderfreundliche Gleitkommaarithmetik verhindert mögliche Fehler in der Zahlenkonvertierung, bei Skalierungen und vor allem Rundungsfehler bei der Ausgabe von Divisionsergebnissen auf Ganzzahlbasis. Über eine Ethernetverbindung wird sowohl die Konfiguration eines Versuchs als auch die Visualisierung des gesamten Prüfablaufs zwischen Bedien-PC und Echtzeit-Controller realisiert. Die Datenübertragung wird mit Hilfe von Umgebungsvariablen (Shared Variables) durchgeführt. Auf Seiten des Bedien-PCs ist mit Hilfe des sogenannten „Producer/Consumer“-Entwurfsmusters eine ereignisgesteuerte Bedienung realisiert worden. Dies erlaubt eine sehr effiziente und schlanke Programmierung der einzelnen Bedienzustände, inklusive einer schrittweisen, eindeutigen Bedienerführung (Bild 2a).

 

Sowohl Konfigurations- und Maschineneinstellungen als auch Messdaten werden für die weitere Datenverarbeitung in einer offen handhabbaren Datei in Textform gespeichert, sodass die Auswertung der Versuchsdaten unabhängig von der gewählten Programmierumgebung weitergeführt wird, was in einem interdisziplinären, medizinisch-technischen Umfeld sehr wichtig ist.

 

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die verwendete Entwicklungsumgebung LabVIEW mit den Modulen LabVIEW Real-Time und LabVIEW FPGA maßgeblich zur Entwicklung und Erweiterung des Spezialprüfstands – und somit zum zeitlich sehr eng getakteten Gesamtprojektverlauf – beigetragen hat. Durch den visuell gestalteten Code und die dadurch vorhandene Dokumentation konnte der Prüfstand auf eine Doppelversion erweitert werden, sodass ohne weitere Steuerungshardware der zweifache Probendurchsatz möglich ist. Gerade im Bereich der lang andauernden Dauerschwingserien ist dies eine enorme Erleichterung für die involvierten Klinikärzte und Prüfingenieure.

 

Informationen zum Autor:

Dipl.-Ing. Peter Föhr
Technische Universität München, Lehrstuhl für Orthopädie und Sportorthopädie, Labor für Biomechanik
Ismaninger Str. 22
München 81675
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Tel: +49 (0)89 4140-7873
Fax: +49 (0)89 4140-7881
peter.foehr@tum.de

Bild 1: a) Definition eines anatomisch angeleiteten 3D-Lastfalls und drei klinisch freigegebenen Design Spaces, b) Ergebnis nach Topologieoptimierung basierend auf den zuvor definierten Randbedingungen
Bild 2: a) Grafische Bedienoberfläche zur geführten, schrittweisen Konfiguration eines Versuchs, b) Lastrahmen zur Einspannung der Probekörper, inklusive Steuerschrank mit darin enthaltenem Echtzeit-Controller